Bis 4. Juli sind in BELLEPARAIS Arbeiten der in Maastricht lebenden Künstlerin Karin Peulen zu sehen. Bereits der Ausstellungstitel ›coloratura‹ sowie seine Assoziation an das Gestalten von Tönen und Klängen verweisen auf die konzeptuelle Auseinandersetzung mit den Begriffen von Malerei und Farbe in Karin Peulens Werk.
Die Regisseurin Madeleine Eilenstein stellte 2021 einen Film zu Karin Peulen fertig. Darin treffen Karin Peulens Arbeiten und Aussagen auf die Komposition "unendlich trans" von KP Werani. Eine kongeniale Zusammenarbeit, in der sich wesentliche Gedankenstränge der unterschieldlichen künstlerischen Disziplinen aus bilderner Kunst, Musik und Filmkunst zu einem Statement von BELLEPARAIS verschränken.
Text zur Ausstellung
Karin Peulen – coloratura
Stets Haptik und Sinnlichkeit des Materials im Auge habend untersucht Karin Peulen die Möglichkeiten von Farbe und Malerei heute. Dabei bewegt sie sich auf unterschiedlichen Terrains. Sie bedient sich klassischer künstlerischer Ausdrucksformen in Papier- und Tafelbild- oder Textilarbeiten, doch darüber hinaus entstehen ihre Arbeiten in interdisziplinären Künstlerprojekten, die musische, naturwissenschaftliche, philosphische, soziale und damit auch sozialpolitische Bereiche integrieren.
Für ihre Ausstellung coloratura in BELLEPARAIS entwickelte Karin Peulen aus ein und derselben Aussicht vom Dach der Unité d‘Habitation in Marseille (Le Corbusiers wohl bekanntester und frühester Sozialwohnbau) auf einen gegenüber liegenden Plattenbau eine Art Mikrokosmos von Farbverschiebungen auf großformatigen Leinwand-Siebdrucken.
Gedanken über Architektur und Raum, tatsächlichen und empfundenen, Theorien Le Corbusiers zur Farbe – etwa die Zusammenhänge von sogenannten claviers de couleurs (Farbenklaviaturen), und sentiments, die Gefühlszustände, Stimmungen und materialbezogene Assoziationen umfassen, werden zum Thema und untersucht. Die Technik des manuellen Siebdrucks ermöglicht ihr, Nuancierungen zu vergegenwärtigen, die sich dem RGB Modus unserer träge gewordenen Erwartungen an Farbe entgegenstellen und zugleich Figuration und Abstraktion in ein die Wahrnehmung herausforderndes Wechselspiel verwickeln.
Habitation Sociale, 2019, Handsiebdruck, 4-farbig auf Leinwand, Unikat, Maße 110 x 153 cm und 144 x 153 cm
Als welch weites Feld sich Malerei und Farbraum verstehen lassen, führte Karin Peulen in einer Zuammenarbeit mit einem Imker und einem Schäfer vor Augen. Gemeinsam entwickelten sie ein Projekt, das zugleich Tracing-Vorgänge in der Schafzucht aufnahm und künstlerische Gedanken und Prozesse zu einem mehrteiligen Werk formte. Es entstand ein interdisziplinäres Kunstwerk, das Assoziationen an soziales, ästhetisches und spirituelles Verhalten des Menschen nahelegte, ohne das Terrain der Kunst zu verlassen.
Durch Mischungen u.a. aus Bienenwachs, Ölen und natürlichen Pigmenten entwarf Karin für moving landscape ein Farbenspektrum von 120 Wachsblöcken. Aus einem Vorgang, der zur Nachverfolgung sexueller Aktivität der Böcke und der Markierung voraussichtlicher Mutterschafe diente, wurden so Wachsskulpturen und prozesshafte Kunstwerke. Karin kulminierte das farbenfrohe Treiben durch die Erhöhung der gewöhnlichen Anzahl der Böcke in der Herde und ein häufigeres Wechseln Markierungsblöcke. Ihre Farben zeichnen sich bei der Begattung eines Schafes auf demselben ab. Der charkateristische Bienenwachsdurft verwies über das individuelle Werk hinaus in einen Geruchsraum mit offenen Grenzen. Abnutzungsprozesse bildeten die Formen der Wachsblöcke aus und wurden Zeugnisse von Verhaltensformen innerhalb der tierischen Gesellschaft. Die Gedanken weiterführend traf auf berührende stories behind, etwa auf Konsequenzen in der 'Kultur', des man made environement der Fleischindustrie. Feldforschungsartige, wissenschaftliche Vorgänge zur Kategorisierung verbanden sich mit Farbräumen und Fragen an die Malerei heute.
Moving Landscape no.1, 2018, Pigment, Bienenwach, Papier, 70 x 100cm; Natural Moving Landscape, 2018-19, Pigment, Bienenwachs
Attitudes nennt Karin Peuulen die Werke, die das Projekt wieder zu Farbe und Papier zurückführten. Wie Momentaufnahmen aus Miniaturuniversen wirken die attiudes, die aus einer Verbindung auf Auflösungs- und Enstehungsprozessen hervorgingen. Karin Peulen komprimierte ihr Projekt auf die Grundelemente der Malerei aus Bindemittel, Pigment und Bildträger.
Attitude (Detail), 2019, Pigment, Bienenwachs, Papier, eigene Farbrezeptur, 28 x 20 cm
Die Beschäftigung mit einer letztlich unmöglichen 'Deckungsgleiche' von Gegenstand und Repräsentation, die Integration von bildhafter Sprache und Konnotationen in ihre Arbeitsweise findet sich auch in ihrer Ausstellung "The Map is not the Territory" (Alfred Korzybski, 1879–1950), die im Kunstverein B32, gemeinsam mit ehemaligen Absolventen der Kunstakademie in Maastricht stattfand.
In dieser zeigte sie einen Perserteppich, in dem sich die Ornamentik verwischt und durch Bleichungsprozesse langsam auslöscht. Die somit angetriggerte Reflexion über gegenwärtigen und historischen Vorgänge in einem Gebiet mit einer Tradition des Teppichknüpfens und Musterwebens, einer in knapp zwei Jahrtausenden entwickelten ornamentalen Symbolik, die damit verbundene Sichtbarkeit einer Kultur und die Identifikationsmöglichkeiten der unterschiedlichen Kulturträger obliegen der Nachdenklichkeit und der Sensibilität des Betrachters.
JL
Habitation Sociale, Handsiebdrucke, 4farbig, 300g Hahnemühle Fine Art Papier, Unikate, 162 x 122 cm