Lee Jiyoun, Flüsternde Gewächse, 2020
›Seltene Gewächse‹
mit Arbeiten von
Justin Almquist, Burkard Blümlein, Jutta Burkhardt, Jonah Gebka, Nikola Irmer,
Philipp Lachenmann, Lee Jiyoun, Herbert Nauderer, Karin Peulen, Herbert Post,
Tonn Prins, Esther Rutenfranz, Valio Tchenkov, Karl Unterfrauner, Peter Vogt
Eröffnung
Dienstag, den 14. Juli 2020, ab 19 Uhr
Ausstellungsdauer
15. Juli bis 27. August 2020
Die Gruppenausstellung Seltene Gewächse vergegenwärtigt ein weites Assoziationsfeld zum Thema 'Natur', 'Biologie', 'Botanik' und Wachstumsprozesse in künstlerischen Werken.
Während Esther Rutenfranz in "splatter rose" etwa einen Blumenstrauß mit Christrose zur Farbexplosion kulminieren läßt, tut sich Lee Jiyoun in der verhaltenen, poetischen Welt scheinbarer Einzeller und Meeresgetier um. Es sind übrig gebliebene Alltagsfundstücke, die in ihren Inszenierungen zu leben beginnen. Lee Jiyoun hat darüberhinaus in gewohnt brillanter Manier die Positionierung der Werke im Ausstellungsraum übernommen.
Esther Rutenfranz, Rizinus und Allium, 2020, Farbstift, Ölkreide auf lasierter Spanplatte, je 21 x 29,6 cm
Justin Almquist spürt einer Befindlichkeit wie dem Anschwellen von Schmerz in einer Zeichnungscollage nach. Wenn sich wundgescheuerte Blasen in Assoziation zu plüschigen Pfeifenputzern bringen lassen, dann vielleicht als Ausdruck von Sehnsucht nach Abstand, Sanftheit und Vorsicht, auch wenn der Fuß bereits – vom Schuh befreit – auf dem Parkettboden unterweges ist. Eine petite Gedankenhommage an Lucas Samaras und seine subkutanen Selbst-Befragungen.
Justin Almquist, Left Foot, (For L. S. / Lucas Samaras), 2014, Tusche, Aquarell, Pfeifenputzer, 35 x 22,7 cm
Ein rhizomartiges Anwachsen und Überborden thematisiert Jutta Burkhardt. In ihren Tuschzeichnungen schafft sie aus repetetiven Strichen und den Verwerfungen des Transparentpapiers, meditativ mäandernde Organismen. Es ist ein Flow, eine écriture automatique, die sie vorantreibt. Selten begegnet man als Betrachter figurativ anmutenden Situationen, die einen im Unklaren lassen, ob sich die Szenerie gerade über oder unter der Erde befindet.
Jutta Burkhardt, Aphasia XII (Detail), 2020, Tuschezeichnung auf Transparentpapier, 46,5 x 25,5 cm
Valio Tchenkov reflektiert den Entwicklungsprozess seiner Gemälde in einer anderen Art und Weise. Er bringt seine Arbeiten, sich und seine Automatismen aus dem Gleichgewicht. Tatsächliche Objekte wie ein Fuchsschwanz im Gemälde Der Gärtner retten die Komposition, spielen mit Proportionen und mit Analogien. Darstellung und Kontext bleiben in spannendem nicht humorfreiem Verhältnis.
Valio Tchenkov, Der Gärtner, 2019, Öl auf Leinwand, Fuchsschwanz, 70 x 60 cm
Nikola Irmers Zeichnung aus der Serie orto botanico trägt die romantische Gedankenwelt eines Philipp Otto Runges in eine materialästhetische. Aus dem Wettstreit zwischen Darstellung und Unbezeichnetem gerät über den Leerraum aus Weißflächen das Zeichenpapier an sich in den Vordergrund. Wie die anderen Teilnehmer stellt Nikola Irmer genuin malerische und zeichnerische Fragestellungen an die Gegenwartskunst, die sie letztlich unabhängig vom Motiv untersucht.
Nikola Irmer, Orto Botanico 2, 2020, Bleistift auf Papier, 50 x 35 cm
Karl Unterfrauner führt uns mit der Arbeit Baum Nr. 20 aus der 2004 entstandenen Serie Bäume in die Welt ästhetischer Anziehungskraft von Pflanzendarstellungen in unnatürlicher, ja aseptischer Isolation – und aus der Natur ins Fotostudio. Der unscheinbare, gar nicht seltene Ast einer Vogelbeere erfährt kurz vor dem Verwelken ultimative Aufmerksamkeit. Er erhält 'ewige' Bildwürdigkeit in seiner spezifischen Haltung, allerdings erst nach mathematischer Feinstberechnung von Höhe und Neigungswinkel seiner natürlichen Position und deren Rekonstruktion im fotografischen Bild. Unterfrauner, einst Assisten von John Baldessari, hält den Beobachterblick in Spannung. Die spezifische Hängung der Arbeit gleicht einer literatrischen Leerstelle, die vom Leser verlangt, die innerer Vorstellung und das fragmentierte Erscheinungsbiild apperzeptiv zu ergänzen.
Karl Unterfrauner, Baum Nr. 20 (Vogelbeere), 2005, Farbfoto Diasec, gesamt 162 x 181 cm
Karin Peulens Arbeiten der Serie Blumengeschäft Flora nehmen Bezug auf des Lebenswerk eines ungewöhnichen Floristen in den Niederlanden. Er setzte nicht nur sein Geschäft bühnenreif mit Schein-Ballustraden und lediglich gezeichneten Balkontüren in Szene, sondern hielt auch seine Topfpflanzen- und Blumenarrangements akribisch auf Diapositiven fest. Diese Aufnahmen projizierte er an die Wände seines üppig mit tatsächlichen Blumen ausgestatteten Ladengeschäfts. Karin Peulen konnte die Diasammlung erstehen und ließ sie zur Vorlage eines Risografienzyklus werden. Bei diesem trommelmechanischen Siebdruckverfahren, vermag die Künstlerin manuell in die Farbgebung einzugreifen. Auf experimentellen Wegen der Möglichkeiten von Malerei und Farbe heute untersucht Karin Peulen in minimalen Verschiebungen Wirkungen von Farbe und Nichtfarbe auf Interpretationen von Zeit – auf Präsenz und Absenz von Vergangenheit und Erinnerung.
Karin Peulen, Blumengeschäft Flora, 2019, Risographie, duotone, Unikate in Modulationen auf säurefreiem Papier, 40 x 59,5 cm
Insgesamt 2 x10 stück (10 Rosa/10 Grün) und Esther Rutenfranz, Splatter Rose, 2020, Acryl, Ölkreide auf Holz, 40 x 40 cm
Spuren und historische Bezugnahmen kennzeichnen das Werk von Burkard Blümlein. In 16.3.1945 haben wir es mit einer Überlebenden eines Brandbombenangriffs gegen Kriegsende zu tun. Die Meissener Porzellantasse wurde von einer Großmutter Blümleins aus den Trümmern ihres Hause gerettet. Das handbemalte Dekor der Kostbarkeit – aus einer zu Kriegsende für viele fernen, zivilisierten Welt – trägt, die Spuren des Schreckens sowie den Kontext eines gutbürgerlichen Lebens zugleich in sich. Insektendarstellungen, Falter und Fliegen gelten seit der Renaissance als Allegorien an die Vergänglichkeit. Eine Seite der Mokkatasse zeigt sie in unbescholtener Farbigkeit, eine Seite trägt sie als verschmorte Mahnzeichen menschlicher Hybris doppelt eingebrannt.
Burkard Blümlein, Meißner Porzellantasse mit verbranntem Dekor, 16.3.1945, Durchmesser (innen) 8 cm
Viele Gedanken kreisen schließlich um ein einziges Wort – TAO geschrieben – besser gesagt gezeichnet vom Schriftkünstler Herbert Post (1903-1978). TAO oder auch DAO, bedeutet im Chinesischen 'Pfad' oder 'Weg', aber ebenso eine Denkrichtung und eine Wahrheitssuche.
Salonprogramm
Petite Salon aufgrund des derzeit stark beschränkten Platzangebots nur auf persönliche Einladung. Bei Interesse bitte in den Newsletter eintragen.
Gregor Hübner, Salon zu Ausstellung Seltene Gewächse, Violine, Loop Machine, Mittwoch, 29. Juli 2020, 21 Uhr Foto: Frank Seehausen