PERFORMANCE: HAAR-SCHARF
anlässlich des Bayerischen Ministererlasses zur Menschenwürde und der bevorzugten Eröffnung von Friseurgeschäften
Thomas Loibl liest aus Jean-Jacques Rousseau – Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechts, frz. Du contract social ou Principes du droit politique, Amsterdam 1760
Wiedereröffnung der Galerie BELLEPARAIS nach dem Lockdown gleichzeitig mit den Friseuren
Dienstag, 2. März 2021,
link zur Impression der Lesung
"Die Entscheidung für die Wiedereröffnung der Friseure habe "nicht nur mit Hygiene" zu tun, sondern "auch mit Würde", sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU)." (Quelle WDR). Der Lockdown wurde für Museen, Einzelhandel und Kulturinstitutionen verlängert. Eine Sonderregelung betraf die Friseurgeschäfte. Sie durften am 2. März 2021 bereits öffnen – der Hygiene, Würde und Selbstfindung wegen bevorzugt vor jeglichen Institutionen zu Kunst und Kultur.
Vor dem Gemälde Boogie Woogie Sharp von Valio Tchenkov, auf dem eine clownartige groteske Gestalt ein halbtotes Häschens in den Armen hält sitzt der Schauspieler Thomas Loibl (bekannt u.a. aus den Filmen Wannseekonferenz und Toni Erdmann).
Lennard Nachtigall /Friseur Hairgott schneidet ihm die Haare.
Im Schaufenster als Hommage an Joseph Beuys – Thomas Loibls Schallplatte der Beuys Performance "jajaja neeneenee".
Auf dem Boden: Yvonne Wahl, "Taklamakan", (Taklamakan - zweitgrößte Sandwüste der Erde im Gebiet der Uiguren)
Performance in Anlehnung an die Beuys Aktion in der Galerie Schmela, Düsseldorf 1965: Wie man einem toten Hasen die Bilder erklärt.
Joseph Beuys versperrte die Türen der Galerie Schmela. Das ausgesperrte Publikum verfolgte die Aktion, wie Beuys dem toten Hasen im Arm die Bilder erklärte, nur durch das Schaufenster.
Text der von Thomas Loibl gelesenen Passage:
"Sobald der Dienst am Staat aufhört, die hauptsächlichste Angelegenheit der Bürger zu sein, und diese vorziehen, mit der Geldbörse statt mit ihrer Person zu dienen, ist der Staat seinem Zerfall schon nah. Muss man denn in die Schlacht ziehen? Sie bezahlen Truppen und bleiben zu Hause. Muss man denn in den Rat? Sie benennen Abgeordnete und bleiben daheim. Dank Faulheit und Geld haben sie schließlich Söldner, um das Vaterland zu versklaven und Volksvertreter, um es zu verkaufen. Plackerei in Handel und Künsten, gieriges Gewinnstreben, Schlaffheit und Bequemlichkeitsliebe verwandeln die persönlichsten Dienste in Geld. ..."
Jean Jacques Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechts, 3. Buch 15. Kapitel, Von den Abgeordneten oder Volksvertetern
SZ vom 02.03.2021
Der Friseur kommt zur Kunst
Mit Beginn dieser Wochen dürfen Friseurläden wieder öffnen – Galerien und Buchläden bleiben zu. Doch damit , dass in der Krise der Schein wichtiger sein soll als das Sein, wollte sich die Initiative Münchner Galerien zeitgenössischer Kunst nicht abfinden. Das sah Julia Lachenmann von der Galerie BELLEPARAIS genauso und bat ihren Nachbarn von gegenüber, vom Salon Hairgott, um einen Besuch. Kaum ist es möglich, schneidet Lennard Nachtigall also Haare – vom Schauspieler Thomas Loibl, dem enie neue Facon nach seinem Dreh der "Wannsee-Konferenz" im Dezember gut tut. Und da ja die Buchläden auch zu haben, liest Thomas Loibl: "Vom Gesellschaftsvertag" von Jean-Jacques Rousseau. Den Soundtrack zur performativen Verschönerung von Geist und Haar hat Loibl selbst mitgebracht: Eine Schallplattenaufnahme von Joseph Beuys' Happening "Ja, ja, ja, nee, nee, nee, klingendes Menetekel der Ratlosigkeit, passend zu pandemischen Zeiten. Aber hier kommt ja eben die Lösung: Konzerte in Baumärkten, Blumenstände in den Theatern, Haareschneiden in Museen. Dort ist auch mehr Platz als in den meisten Friseursalons." ETHO
SZ-Foto Stephan Rumpf
SZ vom 06.03.2021:
Kreative Ideen im Kultur-Lockdown
Von Rita Argauer
Der Platz vor dem Verkehrsmuseum auf der Theresienhöhe ist ein beliebter Lockdown-Treffpunkt. Vor allem für Kinder. Schon im April 2020, als die Spielplätze geschlossen waren, entwickelte der gepflasterte Platz einen besonderen Reiz. Um die große Schnecke (die "Sweet Brown Snail", 2002 gestaltet von den Künstlern Jason Rhoades und Paul McCarthy - ein bisschen Kunst für die begleitenden Erwachsenen) kann man prima herumrennen. Auf den Treppen vor dem Museum kann man balancieren, über den autofreien Platz kann man Radfahren. Verschiedene Orte erfahren durch die Krise eine spontane Neudefinition. Auch das Verkehrsmuseum an sich. Die Kinder können gerade nur durch die Fenster gucken, den Hubschrauber, die Trambahn und den Bus bestaunen. Rein aber dürfen nur diejenigen, die einen Corona-Test wollen.
Im Museum wurde ein Testzentrum eingerichtet. Auch die Münchner Kulturinstitutionen kontern mit neue Raumbelegung. Die Galerie Belleparais widmete ihren Daseins-Zweck kurzfristig zum Friseursalon um. Denn Haareschneiden ist ja schon wieder erlaubt. Anders als Kunstgucken. Und Kunstgucken mit Haareschneiden zu verbinden, ist auch nicht schlecht. Ja, man muss um die Ecke denken, nicht mehr alles so streng sehen. Ein Impfzentrum mit Ausstellung wie in Regensburg oder Klassenzimmer im Museum wie kürzlich in Rosenheim. Kreative Ortsnutzung, Umnutzung und Umdenken - lauter Dinge sind plötzlich möglich, die früher unmöglich oder bürokratisch unzugänglich erschienen. Die Bayerische Staatsoper etwa holt sich nun einen Zuschauer zurück. Über einen bürokratischen Trick: Fremde dürfen derzeit auf gar keinen Fall ins Haus. Mitarbeiter schon. Also wird der auserwählte Zuschauer als Statist engagiert, der in der Königsloge sitzt, der Musik während des Stream-Konzerts live lauscht und gleichzeitig quasi einen Zuschauer als Platzhalter für all die abwesenden Zuschauer spielt. Mit den geplanten Lockerungen könnte sich nun bald wieder alles zum halbwegs Bekannten drehen. Die Lockerheit aber, mit der während der Krise mit manchen Orten und Regeln umgegangen wird, ist etwas, dessen Bestand man sich durchaus wünschen kann. Denn sich mit ein bisschen Anarchie abseits der Regeln zu bewegen, dort Neues zu suchen, ist sowohl künstlerisch als auch gesellschaftlich etwas sehr Schönes.
Monopol Magazin, 5.3.2021
Münchner Galerie eröffnet als Friseurladen
Der Beschluss von Bund und Ländern zu den Neuen Corona-Regeln macht auch Hoffnung auf die Öffnung von Ausstellungsorten. In München hat bereits diese Woche eine Galerie geöffnet – als Friseurladen.
Der Lockdown zur Bekämpfung der Corona-Pandemie in Deutschland wird angesichts weiter hoher Infektionszahlen grundsätzlich bis zum 28. März verlängert. Allerdings soll es je nach Infektionslage viele Öffnungsmöglichkeiten geben - auch für Museen und Galerien. Bereits vor den Beratungen von Bund und Ländern dürfen am Anfang der Woche die Friseurläden öffnen, was für einige Diskussion sorgte. Warum sind Friseure wichtiger als – zum Beispiel Kunst?
In einer eulenspiegelartigen Aktion hat sich deshalb die Münchner Galerie Belleparais hervorgetan. Da wurden dem Schauspieler Thomas Loibl am 1. März morgens, noch vor der Öffnung der Friseurläden, die Haare geschnitten. Ein Zeichen der Hoffnung.