SALON XLII
In der Ausstellung "U5" – Werke von Künstlerinnen unterschiedlicher Generationen
Fokus: Michaela Neumann
19. Dezember 2024, ab 18.30 Uhr
Tom Kha Gai served in BELLEPARAIS
(cooking by Somyot Hanuntasuk, Michaela Neumann)
Abb. Michaela Neumann, Hüllen, 2010/2024, Keramik, Pastellkreiden, Kohle, Tusche
Zu den Arbeiten von Michaela Neumann (for english please scroll down)
Unter dem Titel " Landschaften" begegnet man in Michaela Neumanns Werk einer Reihe beschädigter Hühnereier. Unspektakulär und zugleich etwas provokant wirken sie an der Ausstellungswand.
An den präzisen Schnittlinien in den liegenden Eiformen und an den feinen Bohrlöchern bemerkt man allerdings schnell, dass die Verletzungen der Schale provoziert und nicht Folge eines Sturzes sind.
Mit feinen Sägen und Bohrern schafft Michaela Neumann einen Blick durch die Schutzhülle der Eierschale in einen weiß-gelblichen Innenraum. Er berührt, als sei man gerade Zeuge eines unmittelbaren Naturereignisses geworden. Dabei fordert die Künstlerin die kalkhaltige Materialfestigkeit der Oberfläche soweit heraus, bis das Ei, diese Urform einer Skulptur, in eine grenzwertige Lage gerät. Es ist ein Zustand zwischen Fragilität und Instabilität, ein Moment zwischen dem Entstehen einer Form und einer Gegenform, der den kompletten Zusammenbruch beider riskiert.
Durch Michaela Neumanns Eingriff gerät die Materie quasi in einen Zustand des Innehaltens. Ihre "Landschaften" sind eher Grenzgänge durch Landschaften. Während des Austarierens von Spannungen und dem Provozieren von Brüchen setzt sie sich sisyphosartig dem Scheitern aus, bis schließlich die Verbindung aus geschlossen und offen, Licht und Schatten, Weiß im Weiß, gelingt.
Zu Installation dieser Arbeiten reist Michaela Neumann selbst an, zumindest ist es aufgrund der Empfindlichkeit der Arbeiten angeraten.
In Michaela Neumanns als „Hüllen“ bezeichneten Keramikarbeiten steht ebenfalls die Stofflichkeit ihres Materials im Mittelpunkt: Ton zwischen den genuinen Polen hart und weich, starr und fließend, konkav und konvex.
Wieder sucht sie ein Wechselspiel aus einem klar begrenzten, haptisch „begreifbaren“ Raum und einem aus flüchtigem Licht und Schatten. In Auseinandersetzung mit den fließenden Grenzen zwischen offenen und geschlossenen Zuständen bildet die Künstlerin tuchartige, aber felsenfeste Hüllen, die in ihren Bewegungen und Verwerfungen an Faltenwürfe, Gebirge oder Wesen in phantastischen Ozeanwelten erinnern.
Nach dem Formen und Brennen des Tons bringt sie zuweilen Silikon auf, sodass das Weiche im Entwicklungsprozess spürbar bleibt. Die Textur und die helle, milchige Farbgebung verändern die Aussenhaut und führen zu einem Bildträger, auf dem Zeichnung unscharf verwischt. Neumanns schnelle Strichführung mit Kohle, Bleistift oder Kugelschreiber auf den Objekten erinnern an Licht- und Schattensetzungen durch Schraffuren. Statt einer Glasur bestimmen Linien die Oberfläche. Gleich einer Frottage betonen sie die Beschaffenheit des Materials oder setzen Assoziationen an den Ursprung von Zeichnungen auf Felswänden und Tontafeln frei. Abdrücke von Strukturen werden zum „making off“ der Entstehung der Werke.
In ihren Zeichnungen auf dunklem Papier erkundet Michaela Neumann mit Bleistiften oder weißen und schwarzen Pastellkreiden freie Formen, die wie eine Spurensuche von Bewegungen in ihren Objekten wirkt. Schwarz auf schwarz oder in weiß steht die „Spurensicherung“ auf dem Papier.
Michaela Neumann gelingt es, ohne auf Effekte abzuzielen, Schwebesituationen einzufangen.
JL
Michaela Neumann, Hülle 2, 2010-2024, Kohle, Bleistift, blaue Farbe, Keramik, mixed Media, 33 x 33 x 21 cm
Michaela Neumann, landscape 2, 2001, egg shell, 4 x 5,5 x 4 cm
Michaela Neumann, Ausstellungsansicht "Fokus Michaela Neumann"
English Version
About the works of Michaela Neumann
Under the title "Landscapes", Michaela Neumann's work presents a series of damaged chicken eggs. They appear unspectacular and at the same time somewhat provocative on the exhibition wall.
However, from the precise cut lines in the horizontal egg shapes and the fine drill holes, one quickly realises that the injuries to the shell were provoked and not the result of a fall.
Using fine saws and drills, Michaela Neumann creates a view through the protective shell of the eggshell into a white-yellowish interior. It is touching, as if one has just witnessed an immediate natural event. The artist challenges the chalky material strength of the surface until the egg, this archetypal form of a sculpture, reaches a borderline position. It is a state between fragility and instability, a moment between the emergence of a form and a counter-form that risks the complete collapse of both.
Michaela Neumann's intervention causes the material to enter a state of pause, so to speak. Her "landscapes" are more like border crossings through landscapes. While balancing tensions and provoking ruptures, she exposes herself to failure in a Sisyphean manner until she finally succeeds in combining closed and open, light and shadow, white within white.
Michaela Neumann travels to install these works herself, or at least it is advisable due to the sensitivity of the works.
In Michaela Neumann's ceramic works, known as "Hüllen", the materiality also plays a main role: clay between the genuine poles of hard and soft, rigid and flowing, concave and convex.
Again, she seeks an interplay between a clearly defined, haptically "tangible" space and one of fleeting light and shadow. In her exploration of the fluid boundaries between open and closed states, the artist creates cloth-like but rock-solid shells whose movements and distortions are reminiscent of folds, mountains or creatures in fantastic ocean worlds.
After moulding and firing the clay, she sometimes applies silicone so that the softness in the development process remains perceptible. The texture and the light, milky colouring change the outer skin and lead to an image carrier on which the drawing is blurred. Neumann's rapid strokes with charcoal, pencil or biros on the objects are reminiscent of the light and shadows created by hatching. Instead of a glaze, lines define the surface. Like frottage, they emphasise the texture of the material or evoke associations with the origins of drawings on rock faces and clay tablets. Imprints of structures become the "making off" of the creation of the works.
In her drawings on dark paper, Michaela Neumann explores free forms with pencils or white and black pastels, which look like a search for traces of movement in her objects. Black on black or in white is the "forensic evidence" on the paper.
Michaela Neumann succeeds in capturing floating situations without aiming for effects.
JL